Von Martin Luckmann
Da der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Regel in Interaktion mit Menschen erfolgt und dabei auch nur so gut sein kann, wie der Mensch die Maschine steuert bzw. sich von ihr steuern lässt, nutzen wir professionelle Erkenntnisse und Methoden aus den Sozialwissenschaften, um ein optimales Zusammenspiel zu erreichen. Ziel für unsere Gruppe ist, Use Cases zu entwickeln, die diesem Anspruch gerecht werden und deswegen erfolgreich sind, weil sie von den Menschen gern angenommen werden.
Für den Einsatz des KI-gestützten Experteninterviews beim Offboarding eines Projekts oder auch eines Aufgabenbereichs sind daher folgende Ziele und Grundprinzipien wichtig:
- Die Aufgabe, die der Experte innehatte, ist im Sinn der Ganzheitlichkeit nicht beendet, wenn er seine Erfahrungen – sein implizites Wissen – nicht mit-geteilt und für seine Organisation verfügbar gemacht hat.
- Das Interview des Experten soll diesem Spass machen und in einer positiven, wertschätzenden Atmosphäre stattfinden.
- Der Experte ist der Held seiner Erzählung. Was er sagt, nimmt die KI auf.
- Die KI hat die Aufgabe, alle Angaben und Informationen des Experten unvoreingenommen, vorurteilslos und ungenervt aufzunehmen.
- Um das Gesagte richtig und vollständig zu verstehen, fragt die KI nach und bittet den Experten um Bestätigung.
- Je nach Persönlichkeitstyp des Experten gestaltet die KI das Interview.
- Der Experte ist Herr des Gesprächsverlaufs und hat im Interview jederzeit die Möglichkeit zu Unterbrechung oder Abbruch.
Um diese Ziele zu erreichen und die Prinzipien umsetzen zu können, wurde die KI mit verschiedenen Methoden bzw. Methodenteilen „geimpft“, die sich sowohl wissenschaftlich bewährt als auch als praktikabel erwiesen haben:
🔹 Der Kontrollierte Dialog wurde von dem deutschen Kommunikationswissenschaftler Jürgen Habermas [1] entwickelt. Ziel dieser Methode ist es, durch rationale und transparente Argumentation einen Konsens in Diskussionen zu erreichen und Machtausübung oder Manipulation zu vermeiden.
🔹 Das Aktive Zuhören wurde von Carl Rogers und Richard E. Farson 1957 [2] entwickelt und ist ein zentraler Bestandteil des kontrollierten Dialogs. Das Ziel des aktiven Zuhörens ist es, den Gesprächspartner wirklich zu verstehen – nicht nur die Worte, sondern auch die Emotionen dahinter. Es geht darum, eine offene, wertschätzende und verständnisvolle Haltung einzunehmen.
🔹 Das narrative Interview ist eine qualitative Forschungsmethode, die darauf abzielt, Erfahrungen, Wissen und subjektive Sichtweisen von Menschen in Form von Erzählungen zu erfassen. Es wurde von Fritz Schütze [3] entwickelt und wird häufig in den Sozialwissenschaften, der Organisationsforschung und in der qualitativen Forschung eingesetzt.
🔹 Storytelling hat seinen Ursprung in der Organisationskommunikation und ist die Kunst, Informationen, Erfahrungen oder Wissen durch Geschichten zu vermitteln, um Inhalte einprägsamer, emotionaler und verständlicher zu machen. Es wird in der Unternehmenskommunikation, im Marketing, in der Wissensvermittlung und in der Führung eingesetzt, um komplexe Sachverhalte anschaulich, nachvollziehbar und inspirierend zu gestalten. Es wurde 2005 von Stephen Denning [4] ausführlich beschrieben.
🔹 Die 5-Warum-Methode ist eine systematische Technik zur Ursachenanalyse von Problemen. Sie hilft, nicht nur die oberflächlichen Symptome eines Problems zu erkennen, sondern die tiefere, eigentliche Ursache zu identifizieren. Sie wurde entwickelt von Sakichi Toyoda im Rahmen des Toyota Produktionssystems und ursprünglich 1988 beschrieben [5].
🔹 Best-Case & Worst-Case-Szenarien haben ihren Ursprung in der Risikoanalyse und Entscheidungstheorie und wurden 2009 von Douglas Hubbard [6] beschrieben. Sie sind Planungs- und Analysewerkzeuge, die genutzt werden, um optimale und schlechteste mögliche Entwicklungen für eine bestimmte Situation oder Entscheidung zu durchdenken. Sie helfen dabei, Risiken abzuschätzen, Chancen zu erkennen und strategische Entscheidungen fundierter zu treffen.
Aus diesen Methoden haben wir wesentliche Merkmale identifiziert und der KI als Regeln für die Interviews mitgegeben. Die wichtigsten werden hier zusammengefasst:
- Die KI hört zu, bewertet nicht und fragt nur nach, wenn etwas für sie unklar ist.
- Die KI spiegelt das Gesagte mit eigenen Worten. Damit ermöglicht sie dem Experten, seine eigene Darstellung bewusst zu hören und sie ggf. zu ändern oder zu ergänzen.
- Die KI versucht die Emotionalität des Gesagten zu erfassen, fasst sie in Worte und fragt den Experten nach seiner Bewertung.
- Erst wenn der Experte sein Okay zu einem Sachverhalt gibt, setzt die KI das Interview fort.
- Die KI fragt den Experten nach seiner persönlichen Einschätzung zu dem Beschriebenen.
- Die KI fragt den Experten nach Fehlern und Lösungen.
- Die KI fragt den Experten nach den „Lessons Learned“ und nach Empfehlungen.
- Die KI unterstützt den Experten bei seinen Beschreibungen.
- Die KI motiviert durch positive Unterstützung.
Literatur:
- Habermas, Jürgen: „Theorie des kommunikativen Handelns„, Frankfurt am Main,1981.
- Rogers, Carl, & Farson, Richard E.: „Active Listening. Industrial Relations Center,“ University of Chicago, 1957
- Schütze, Fritz: „Die Technik des narrativen Interviews in Interaktionsfeldstudien: dargestellt an einem Projekt zur Erforschung von kommunalen Machtstrukturen.“ Universität Bielefeld, 1977
- Denning, Stephen: „The Leader’s Guide to Storytelling: Mastering the Art and Discipline of Business Narrative„, Jossey-Bass, 2005
- Ohno, Taiichi: „Toyota Production System: Beyond Large-Scale Production„, Productivity Press, 1988
- Hubbard, Douglas: „The Failure of Risk Management: Why It’s Broken and How to Fix It„, Wiley, 2009
